31. August 2023
Gepardenliebe und Gepardenfrust
„Als wäre es mit der Gepardenzucht nicht ohnehin schon kompliziert genug…“, seufzt Petra Becker mit einem belustigten Blick über den Zaun der Gepardenanlage des Zoo Neuwied, wo sie als Tierpflegerin arbeitet. „Wenn man dann auch noch solche Individuen hat, wie diese beiden hier, dann kriegt man schonmal graue Haare.“
„Diese beiden“ sind die sechsjährigen Brüder Chomo und Sikio, seit 2019 im Zoo Neuwied und unzertrennlich. „Bei Geparden ist es so, dass die Weibchen Einzelgängerinnen sind, die ein festes Revier haben, während die Männchen allein oder im Bruderverband umherstreifen. Wenn ein Kater auf eine Katze stößt, dann kommt es zu einer Verfolgungsjagd, und nur, wenn er sie erwischt, kommt es zur Paarung. Diese Jagd ist quasi ein Fitnesstest: Nur, wenn das Männchen die Katze einholt, ist er fit genug, und darf seine guten Gene an ihren Nachwuchs weitergeben. Das ist evolutiv so fest verankert, dass die Katze ohne diese Jagd gar keinen Eisprung bekommt“, erklärt die Revierleiterin des Raubtierreviers. „Hier im Zoo können deshalb Kater und Katze nicht dauerhaft zusammen gehalten werden, wie es bei vielen anderen Katzen möglich ist. Die Katze hat ihr eigenes Revier, in das das Männchen von uns gebracht wird. Dort können die beiden sich, zuerst noch ohne direkten Kontakt, hören, sehen und riechen. Wenn dann beide gegenseitiges Interesse bekunden, dann lassen wir sie zusammen, und es kommt zur Verfolgung und Paarung – zumindest theoretisch“, seufzt Becker.
Denn was in der Vergangenheit wunderbar funktioniert hat, machen Chomo und Sikio zunichte. „Die Brüder sind Wurfgeschwister und haben eine besonders enge Bindung“, erklärt Petra Becker. „Beide haben wir bereits mehrere Male zu Katze Lianne gebracht, die auch genau weiß, was sie zu tun hat: Sie schnurrt, sie läuft, sie lässt sich fangen… Aber beide Kater, obwohl sichtlich an Lianne interessiert, sind so verunsichert ohne ihren Bruder, dass sie die ganze Zeit quer durch den Zoo nach ihm rufen, statt ihre Energie auf die Gepardin zu konzentrieren. Darum ist es noch nie zu einer erfolgreichen Paarung gekommen“, bedauert die Tierpflegerin. „Das ist nicht nur für uns enttäuschend, ich habe auch den Eindruck, dass die neun Jahre alte Lianne mit jedem fehlgeschlagenen Versuch frustrierter wird.“
So schön Bruderliebe auch ist, in diesem Fall ist sie hinderlich: Die für die Population wertvollen Gene von Lianne sollen weitergegeben werden. Da das in dieser Konstellation aussichtslos erscheint, ist der Zuchtbuchführer informiert worden, der die Zucht der bedrohten Art in den europäischen Zoos koordiniert. „Da Geparden nur relativ kurz fortpflanzungsfähig sind ist es wichtig für Lianne, dass ein Tausch der Tiere stattfindet, bevor für sie der Zug abgefahren ist“, sagt Becker. „Und was Chomo und Sikio betrifft: Wenn den beiden ihre Bruderliebe über die Fortpflanzung geht, dann ist das so – gezwungen wird hier niemand!“